- ein Lokalaugenschein/ Erschienen in der Friedenszeit des Grazer Büros für Frieden und Entwicklung, Oktober 2003
Seit langer Zeit ist Guatemala ein Schwerpunktland der steirischen Entwicklungszusammenarbeit. Es gibt pfarrliche Initiativen wie die der Pfarre Münzgraben mit einem Frauenprojekt im Peten, eine lange Zusammenarbeit der Solidarität mit Lateinamerika mit der Gewerkschaft CGTG (die sich vor allem auf Gesundheits- und Bildungsprojekte erstreckt) und eine enge Kooperation des Welthauses der Diözese Graz-Seckau mit den Menschenrechtsprogrammen und Programmen der Landpastoral der Diözese n San Marcos und Quetzaltenango.
Um diese Zusammenarbeit zu dokumentieren, befand ich mich Anfang Oktober mit einem Kamerateam des ORF Steiermark in Guatemala, Ergebnisse unserer Dreharbeiten werden unter anderem ein im Februar ausgestrahltes Österreichbild am Sonntag, ein ZIB-2-Beitrag zu den Wahlen in der Woche vor dem 9. November und ein Beitrag in Thema über Sonja Perkic-Krempl sein, der am Montag dem 3. November ausgestrahlt wird. Ziel dieser und weiterer Medienbeiträge ist es, Guatemala wieder in das Bewußtsein der Menschen in Österreich zu rufen.
Guatemala steht unmittelbar vor entscheidenden Wahlen. Am 9. November findet in Guatemala ein Wahlgang statt, bei dem der neue Präsident gewählt wird, aber auch die Abgeordneten zum Parlament auf nationaler und regionaler Ebene, die Abgeordneten zum zentralamerikanischen Parlament und die Gemeindevertreter, d.h. es finden fünf Wahlen gleichzeitig statt. Erhält keiner der Präsidentschaftskandidaten im ersten Durchgang die absolute Mehrheit, findet am 28. Dezember eine Stichwahl zwischen den zwei stimmenstärksten Vertretern statt, die offizielle Amtsübergabe erfolgt am 14. Jänner 2004.
Die Wahlen stehen unter zwei bedeutenden Vorzeichen. Zum einen treten elf Kandidaten zum Kampf um die Präsidentschaft an, zum anderen tritt mit dem General Efrain Rios Montt ein ehemaliger Putschist an, der aufgrund der Verfassung eigentlich gar nicht Kandidat sein dürfte.
Diese Wahlen reihen sich ein in eine Serie von demokratischen Wahlen nach dem Ende der Militärdiktatur. Vinicio Cerezo war 1985 der erste zivile Präsident nach einer Reihe von Militärs und Putschisten, ihm folgte 1992 Jorge Serrano Elías, der einen "Putsch von oben" durchführte, in dem er als gewählter Präsident die Regierung auflöste und mit Unter-stützung des Militärs regieren wollte. Er mußte nach massiven Protesten zurücktreten. Ihm folgte nach der Bestellung durch den Kongreß der Menschenrechtsprokurator León Carpio für den Rest der Amtszeit nach. 1996 wurde Alvaro Arzú Irgoyen zum Präsidenten gewählt, in seiner Amtszeit wurde im Dezember 1996 durch die Unterzeichnung des Friedensvertrages der 36 Jahre lang andauernde Bürgerkrieg beendet. Im Jahr 2000 übernahm Alfonso Portillo von der rechtsgerichteten Frente Republicano Guatemalteco FRG das Amt des Präsidenten, damals bereits unter massiven Protesten, weil der ehemalige Putschist General Efrain Rios Montt die Funktion des Parlamentspräsidenten einnahm.
Wer ist nun Rios Montt? Rios Montt ist zur Zeit siebenundsiebzig Jahre alt. Er hat eine Militärlaufbahn hinter sich, deren zweifelhafte "Krönung" der Putsch im März 1982 war, als er zwei Wochen nach der Wahl eines anderen Militärs zum Präsidenten mit einer Militärjunta die Macht ergriff. Er löste unmittelbar nach seinem Putsch alle Parteien auf und setzte die Verfassung außer Kraft. Seine knapp eineinhalbjährige Amtszeit zieht eine Blutspur nach sich: Er weitete die Antiguerillatätigkeiten aus und verstärkte die Aktionen der rechten Todesschwadronen, zur "Befriedung" des Landes wurden die sogenannten Selbstverteidigungskomitees eingerichtet, die zahllose Gewaltverbrechen unter der indigenen Bevölkerung verübten. Tausende Menschen kamen bei Massakern und bei Übergriffen der Militärs und der paramilitärischen Truppen ums Leben, diese Zeit ging als "Zeit der verbrannten Erde" in die Geschichte Guatemalas ein. Nach seiner Militärzeit wurde Rios Montt als Chef einer evangelikanischen Sekte in Guatemala bekannt, die großen Einfluß auf die obersten Kreise des Landes hat. In den letzten Jahren fand er über die Politik wieder an die Macht zurück, wobei Teil seiner Anstrengungen um die politische Macht auch damit zu tun haben dürften, dass er als Parlamentarier Immunität besitzt und damit nicht für die in seiner Zeit verübten Verbrechen belangt werden kann.
In der letzten Legislaturperiode war Rios Montt bereits Parlamentspräsident und als solcher die wichtigste Figur im Hintergrund, der sich auch der gewählte Präsident Alfonso Portillo trotz verbaler Absetzungsversuche immer wieder unterordnen mußte. Rios Montt konnte seinen Einfluß ausbauen und Leute seines Vertrauens an die strategischen Stellen setzen, die für ihn von Bedeutung waren und sind. Nicht anders ist es erklärbar, dass er, obwohl die Verfassung die Kandidatur von ehemaligen Putschisten und ihren Angehörigen verbietet, mehrere Rechtsinstanzen durchfochten und seine Kandidatur als Präsidentschaftskandidat erzwungen hat. Dementsprechend herrscht in Guatemala auch zur Zeit Bestürzung darüber, dass selbst die Verfassung gebeugt wurde, damit er kandidieren kann.
Möglich wurde dies auch, weil er mit seinen Anhängern massiven Druck auf die Ver-fassungsrichter gemacht hat. Zum Zeitpunkt der Entscheidung wurden aus dem ganzen Land Anhänger der FRG in die Hauptstadt gekarrt, zwei Tage lang wurde die Zone 10, das Wirtschafts- und Handelszentrum der Stadt, belagert, die Polizei hielt sich tatenlos heraus und beobachtete nur, wie die Rios Montt Anhänger zum Teil gewaltsam agierten. Das brutale und gewaltsame Agieren der FRG-Sympathisanten setzte sich im Wahlkampf weiter fort. Am 16. Oktober gingen FRG Aktivisten gewaltsam gegen die Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchu vor, auch hier hielt sich die Polizei zurück.
Die Bereitschaft zur Gewalt ist in diesem Wahlkampf eines der großen Probleme, mehrere Kandidaten mußten bereits ihr Leben lassen bzw. wurden massiv unter Druck gesetzt, teilweise entführt und später wieder frei gelassen.
Politisch ist der Wahlkampf von einer unüberschaubaren Parteienlandschaft geprägt. Rios Montt tritt als Spitzenkandidat der derzeit regierenden FRG an, die durch etliche Korruptionsfälle an Ansehen verloren hat. Dieser Partei werden auch enge Verbindungen zum organisierten Verbrechen in Guatemala nachgesagt. Spitzenkandidat des Parteienbündnisses GANA ist Oscar Berger, ehemaliger Bürgermeister der Hauptstadt Guatemala, bei den vergangenen Wahlen Spitzenkandidat der konservativen Partido de Avanzada Nacional PAN. Ihm wird bei den bevorstehenden Wahlen seitens der veröffentlichten Meinungsumfragen die größte Chance auf einen Sieg prognostiziert, er liegt mit 47% und abnehmender Zustimmung an erster Stelle. Ihm folgt der Industrielle Alvaro Colom für die UNE an zweiter Stelle mit 14% und aufsteigender Tendenz nach, gefolgt von Rios Montt (FRG) mit 13%. Die nächsten Kandidaten Leonel Rodas (6,5%) und Fritz Garcia (5,4%) sind bereits weit abgeschlagen. Die Linke ist zerstritten und so hat auch Asturias, der ehemalige Guerillakämpfer und Sohn des Literaturpreisträgers Miguel Angel Asturias, keine Chancen.
Ob Berger tatsächlich Präsident wird und damit das "Gespenst Rios Montt" gebannt ist, hängt von mehreren Unabwägbarkeiten ab. Zuerst einmal stellt sich die Frage, ob die Meinungsumfragen tatsächlich die Wahrheit sagen. Diskussionen der letzten Tage über das Aussageverhalten der Bevölkerung und den Wunsch der befragten Menschen, bei den Gewinnern zu sein, verstärken diese Zweifel. Eine nicht veröffentlichte Umfrage einer deutschen Einrichtung in Guatemala sieht Rios Montt an der Spitze der Präsidentschaftskandidaten. Diese Umfrage konzentriert sich vor allem auf das Land, wo die Anhänger Rios Montts in der letzten Phase des Wahlkampfes mit allen Mitteln versuchen, sich die Gunst der Bevölkerung zu erkaufen:
- Menschen erhalten Saatgut und Düngemitteln aus der internationalen Entwicklungs-zu-sammenarbeit, die als Spende der FRG "verkauft" werden.
- Ebenso verhält es sich mit Baumaterial für die Hütten der Ärmsten im Land, wobei sich die FRG als Partei der Armen positionieren möchte und massiv darauf hinweist, dass man sich von dem Geld, dass die vorangegangene Regierung Arzu in die Verbesserung der Infrastruktur steckte, keine Tortillas kaufen könne.
- Am stärksten dürfte aber der Anreiz wirken, der zur Zeit an die Ex-Mitglieder der Selbstverteidigungskomitees PAC ausgesprochen wird. Ihnen wurde für ihre Tätigkeit in den PAC's ein Entschädigung von 20.000 Quetzal versprochen, auszahlbar in drei Raten, die erste vor den Wahlen, die übrigen Raten dann, wenn die FRG von Rios Montt gewinnt....
Einen schwer einzuschätzenden Faktor stellt der Ausgang der ersten Runde dar. Bei einer breit angelegten Diskussionsveranstaltung Anfang Oktober, an der außer Rios Montt und Oscar Berger alle anderen Präsidentschaftskandidaten teilgenommen haben, wurde die Strategie für den zweiten Wahlgang festgelegt. Kommen Berger und Rios Montt in die zweite Runde, so unterstützen alle Parteien Berger gegen den gemeinsamen Feind Rios Montt. Kommt neben Berger allerdings ein anderer Kandidat in die zweite Runde, z. B. der im Augenblick aussichtsreichste Kandidat Alvaro Colom, so erhält er die Unterstützung aller anderen Parteien und wird so voraussichtlich der nächste Präsident Guatemalas.
Der Ablauf und der Ausgang der Wahlen wird auch im Ausland mit Aufmerksamkeit beobachtet. Die Organisation amerikanischer Staaten ist seit Juli mit einer Beobachter-mission im Lande, die Europäische Union hat ihre Arbeit im September aufgenommen. Für die EU werden am Wahltag rund 80 Beobachter landesweit im Einsatz sein, sechs davon sind Österreicher/innen, einer davon befindet sich seit 9. Oktober als sogenannter "long term observer" (Langzeitbeobachter) im Einsatz. Dass die Abschätzung des Wahl-er-gebnisses schwierig ist, zeigen die Aussagen der USA und später auch der EU. Wurde zu Beginn die Kandidatur von Rios Montt verurteilt und ein Ende der wirtschaftlichen und politischen Unterstützung für den Fall seines Sieges in Aussicht gestellt, ist diese Aussage nun der Ankündigung gewichen, das Wahlergebnis der Guatemalteken zu akzeptieren, in welche Richtung es auch gehen sollte.
Die nächsten Wochen werden spannend in Guatemala. Übereinstimmend herrscht bei Organisationen im Land wie auch bei ausländischen Einrichtungen die Meinung vor, dass dies die aggressivste und brutalste Wahlauseinandersetzung der letzten Jahre ist und dass es, auch wenn Rios Montt gewinnen würde, nicht mehr viel schlimmer werden könnte. Sollte Rios Montt Präsident werden, werden zwar Einschränkungen vor allem für die Menschenrechtsarbeit befürchtet, eine Wiederkehr der "Zeit der verbrannten Erde" wird aber ausgeschlossen - die Zivilgesellschaft ist heute stärker als in der Zeit der Militärdiktatur.