- Ist ein Paradigmenwechsel im Gang? | Fachartikel im WING-Business, der Zeitschrift vom Verband der Österreichischen Wirtschaftsingenieure 36 (2004) 2, erschienen im Juli 2004
In letzter Zeit wird der Begriff Nachhaltigkeit immer öfter verwendet, selten aber richtig: die Budgetpolitik muss nachhaltig sein, es sind nachhaltige Problemlösungen gefordert und unser Pensionssystem wird als nicht nachhaltig bezeichnet. Was steht hinter diesem Begriff und welche Bedeutung hat er für das Management? Bevor darauf eingegangen wird, soll ein Blick auf die Geschichte des Begriffes geworfen werden.
Nachhaltigkeit hat Geschichte
Der Begriff wird um das Jahr 1700 erstmals wirtschaftlich erwähnt: Berghauptmann Hans Carl von Carlowitz forderte aufgrund einer Mangelerscheinung (durch den intensiven Silberbergbau kam es in Sachsen in der Region um die Stadt Freiberg zur fast vollständigen Abholzung der Wälder) eine nachhaltige Forstwirtschaft ein, bei der nicht mehr Holz pro Jahr geschlägert wird als in der gleichen Zeit nachwächst, dass man also von den Zinsen eines Waldes leben soll und nicht von seinem Kapital. Dieses Verständnis steht auch hinter dem Bericht "Our Common Future", den Gro Harlem Brundland im Hinblick auf die UNO-Konferenz "Umwelt und Entwicklung" 1992 in Rio de Janeiro erarbeitete: "Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse gegenwärtiger Generationen deckt, ohne die Fähigkeiten zukünftiger Generationen einzuschränken, ihre eigenen Bedürfnisse zu decken". In diesem Bericht wurden auch die drei Bereiche der Nachhaltigkeit definiert: der wirtschaftliche Bereich, der ökologische Bereich und der soziale Bereich.
Bei einer kritischen Analyse unseres Lebens- und Wirtschaftsstils wird klar, dass wir von "Zukunftsfähigkeit", wie eine weniger sperrige Übersetzung lautet, sehr weit entfernt sind. Darüber täuschen auch die Bemühungen nicht hinweg, die seit Rio gestartet wurden.
Wirtschaft bemüht sich um Nachhaltigkeit
Der Schweizer Industrielle Stefan Schmidheiny nahm die Herausforderung einer nachhaltigen Wirtschaft an. Im Vorfeld von Rio erarbeitete er mit dem Buch "Kurswechsel" eine Position der Wirtschaft zu nachhaltiger Entwicklung. Er zeigte mit der Öko-Effizienz (=ökonomisch und ökologisch effizient), dass die Wirtschaft begonnen hat, umzudenken und anders zu handeln. Er initiierte das World Business Council for Sustainable Development (bei uns: Austrian Business Council for Sustainable Development), das sich weltweit um Nachhaltigkeit in der Wirtschaft bemüht.
In Rio wurde die Agenda 21 als weltweites Aktionsprogramm beschlossen. Die Wirtschaft wird aufgefordert, sich für das umweltfreundliche Management von Abfällen und gefährlichen Stoffen einzusetzen und sich vorausschauend für den Umweltschutz zu engagieren (z.B. durch freiwillige Umweltberichte, branchenspezifische "Codes of Conduct"). Insgesamt war der Ansatz damals sehr "ökologielastig".
Die Bemühungen der Wirtschaft können nicht von den politischen Bemühungen um Nachhaltigkeit getrennt werden. Europa hat sich zum Ziel gesetzt, den Weg der nachhaltigen Entwicklung zu beschreiten und die Mitgliedsstaaten aufgefordert, nationale Nachhaltigkeitsstrategien zu erarbeiten - die Österreichische Strategie "Zukunft bauen – Österreichs Zukunft nachhaltig gestalten" wurde im April 2002 veröffentlicht. Für die Wirtschaft wurden die Leitziele "Stärkung der Wirtschaft durch nachhaltige Produkte und Dienstleistungen" und "erfolgreiches Wirtschaften durch Ökoeffizienz" definiert.
Der Agendaprozess von Rio fand eine Fortsetzung auf Gemeindeebene - in Europa gibt es mittlerweile über 5.300 Gemeinden, die einen lokalen Agenda 21- Prozeß (LA21) begonnen haben. Dabei stellen die Gemeindebürger strategische Überlegungen für ihr Lebensumfeld für die nächsten zwei bis drei Jahrzehnte an. Es gibt aber auch Unternehmen, die einen betrieblichen Agenda 21-Prozess beginnen (BA21) und ihr Unternehmen umfassend strategisch neu ausrichten. Anders als bei herkömmlichen Strategieprozessen werden nicht nur ökonomische Aspekte beleuchtet, sondern es werden auch für die Bereiche Ökologie und Soziales strategische Ziele festgelegt, die nicht selten zu einem kompletten Neuansatz führen: Dienstleistungen lösen Produkte ab, die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter wird analysiert und es werden Maßnahmen zur Verbesserung des Betriebsklimas getroffen, weil nur motivierte und gut geschulte Mitarbeiter gute Betriebs-ergebnisse liefern.
Neuer Trend Nachhaltigkeitsberichte
Nachhaltiges Management ist über die Experimentierphase hinaus und betrifft mehr als nur "Öko-Unternehmen". Mit der Global Reporting Initiative GRI gibt es globale Bemühungen um eine standardisierte Nachhaltigkeitsberichterstattung. Seit dem Start 1997 arbeitet GRI intensiv mit UNEP, dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen und mit der Global-Compact-Initiative von UN-Generalsekretär Kofi Annan zusammen. Zu Beginn eines Nachhaltigkeitsberichtes befindet sich ein Statement der Geschäftsführung, danach werden anhand eines detaillierten Fragenkataloges Indikatoren aus den Bereichen Umwelt, Wirtschaft und Soziales erarbeitet. Die bisherigen Geschäftsberichte mit ihren überwiegend wirtschaftlichen Daten und allfällig vorhandene Umweltberichte werden zusammengeführt und um die sozialen Daten des Unternehmens erweitert. Parallel zur Erweiterung des Berichtsumfanges findet auch eine Erweiterung der Zielgruppe statt: aus den Aktionären (share-holdern) sind nun die stake-holder die Adressaten geworden, d.h. jene Gruppen, die Interesse an dem Unternehmen haben könnten: Mitarbeiter, Anrainer, Behörden, Finanzeinrichtungen, öffentliche Verwaltung. Von den weltweit 450 Unternehmen, die die GRI-Richtlinien bereits anwenden, sind vier in Österreich: die Verbund AG, die Bundesforste, die Telekom Austria und die VA Tech.
In Österreich hat das Österreichische Institut für Nachhaltige Entwicklung vor kurzem den Leitfaden "Reporting about Sustainability - In 7 Schritten zum Nachhaltigkeitsbericht" herausgegeben. Damit sollen österreichische KMU's motiviert werden, Nachhaltigkeitsberichte zu erstellen.
Dow-Jones-Sustainability-Index
Seit 1999 existiert parallel zum Dow-Jones-Index der Dow-Jones-Sustainability-Index. In ihm sind 300 börsennotierte Unternehmen gelistet, die die Top 10% der weltweit führenden nachhaltigen Unternehmen darstellen. Um gelistet zu werden, müssen sie industriespezifische Fragestellungen entlang der triple-bottom-line von Umwelt, Wirtschaft und Sozialem beantworten, jährlich erfolgt eine externe Verifizierung. Diese Unternehmen haben sich in den letzten Jahren deutlich besser entwickelt als ihre Konkurrenten. Sie sind damit für Anleger interessant und sie zeigen, dass sich Nachhaltigkeit auch wirtschaftlich auszahlt. Es finden sich bekannte Namen wie die Deutsche Bank, BMW, SAP, Henkel, Siemens oder auch die Lufthansa darunter, aus Österreich ist (noch) kein Unternehmen dabei.
CSR als österreichischer Beitrag
In Österreich wurde 2003 die Initiative CSR-Austria gegründet. CSR steht für Corporate Social Responsibility und bedeutet, dass Unternehmen Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen. Die CSR-Initiative ist der Beitrag der Österreichischen Wirtschaft zur Umsetzung der österreichischen Nachhaltigkeitsstrategie. Mit dem im Dezember 2003 vorgestellten CSR-Leitbild "Erfolgreich wirtschaften. Verantwortungsvoll handeln" und der Verleihung des TRIGOS-Preises vor wenigen Wochen wurden zwei kräftige Akzente zu diesem Thema gesetzt.
In der Steiermark ging vor wenigen Tagen eine Serie von Diskussionsveranstaltungen zum Thema "Corporate Social Responsibility" zu Ende, bei der steirische Paradeunternehmen vor den Vorhang geholt wurden. Der Tenor der Unternehmen war einhellig: Nachhaltigkeit zahlt sich aus, weil durch vorsorgenden Umweltschutz Ressourcen und Kosten gespart werden und sich Mitarbeiterorientierung auch schon kurzfristig bezahlt macht:
KWB (Kraft und Wärme aus Biomasse) ist ein innovativer Hersteller von Biomasse-Heizanlagen. Bei der Errichtung des neuen Komeptenzzentrums konnten die Mitar-beiter die Gestaltung ihrer Büros selbst bestimmen und es wurde ein Fitnessraum eingerichtet, den sie mit ihren Angehörigen auch in der Freizeit nutzen können. Seit der Gründung vor zehn Jahren hat es keine Fluktuation gegeben.
Die Firma Feinkost Schirnhofer installierte ein Gesundheitsprogramm und setzt Coaches ein, die die Mitarbeiter in den Filialen kontinuierlich besuchen. Die Identifikation mit dem Unternehmen ist groß, die Krankenstände und Fehlzeiten sind minimal und das "Credo" des Firmenchefs Karl Schirnhofer scheint aufzugehen. Er will, dass "die Leute in der Firma mehr Spaß haben als daheim".
Aber auch die Integration von Behinderten zahlt sich aus: bei den Baumärkten der bauMax-Gruppe hat sich dadurch das Klima in den Baumärkten verändert (es wird von den Kunden als beruhigend empfunden) und bei AT&S ist die erfolgreiche Integration ein Maßstab für die Managementqualität von Führungskräften.
Die Brauerei Murau ist zum Öko-Pionier in Europa geworden: ihre Prozessparameter gelten als Benchmarks der Branche, die Produkte tragen das österreichische Umweltzeichen und das Unternehmen ist für seine Aktivitäten mit europäischen Umweltpreisen ausgezeichnet worden.
Die high-tech-Firma Anton Paar wurde für ihre Bemühungen um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bereits zweimal als frauen- und familienfreundlichster Betrieb ausgezeichnet. In den Ferien gibt es ein Sommerprogramm für die Kinder der Mitarbeiter. Flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit, Kantinenessen für die Kids nach Hause zu nehmen, tragen dazu bei, den schwierigen Spagat zwischen Kind und Karriere zu meistern.
Nachhaltigkeit hat Folgen
zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Nachhaltigkeit im Management Folgen hat:
- die kurzfristige Planung wird durch eine mittel- bis langfristige Planung ergänzt
- die Interessensgruppe ist größer geworden (stake-holder statt share-holder)
- aus eindimensionalen Zielvorgaben werden mehrdimensionale (tripple-bottom-line)
- Dematerialisierung und Dienstleistungen führen dazu, dass kontinuierliche Ver-besserungs-prozesse von Effizienzsteigerungen im "Faktor 4" und "Faktor 10"-Bereich abgelöst werden
- "Produkte mit Geschichte", für die die Konsumenten bereit sind, mehr Geld auszugeben, ersetzen austauschbare Massenprodukte
- nachhaltige Unternehmen sind attraktivere Arbeitgeber und die Mitarbeiter sind stolz auf "ihre" Firma
In vielen Unternehmen hat ein umfassender Umdenkprozess begonnen. Umwelt, Wirtschaft und soziale Aspekte sind kein Widerspruch mehr. Instrumente wie die Balanced Scorecard, Nachhaltigkeitsberichte oder betriebliche Agenda 21-Prozesse tragen dazu bei, dass diese Unternehmen deutlich wettbewerbsfähiger sind als jene Unternehmen, die "nur" den wirtschaftlichen Erfolg im Blickfeld haben. Der Paradigmenwechsel hat begonnen!
Literaturempfehlungen:
- Hardke, A.; Prehn, M. (Hrsg.): Perspektiven der Nachhaltigkeit - Vom Leitbild zur Erfolgsstrategie; Verlag Gabler 2001
- Hawken, P.; Lovins, A. & H.: Öko-Kapitalismus. Die industrielle Revolution des 21. Jahrhunderts - Wohlstand im Einklang mit der Natur; Riemann-Verlag 2000
- Schaltegger, St.; Dyllick, T. (Hrsg.): Nachhaltig managen mit der Balanced Scorecard - Konzept und Fallstudien; Verlag Gabler 2002
- Österreichisches Institut für Nachhaltige Entwicklung (Hrsg.): Reporting about Sustainability - In 7 Schritten zum Nachhaltigkeitsbericht
Links:
- Austrian Business Council for Sustainable Development
- Dow-Jones-Sustainability-Index
- Global Reporting Initiative
- Informationen zu den CSR-Veranstaltungen
- Österreichisches Institut für Nachhaltige Entwicklung
- TRIGOS-Preis
- Wirtschaftsinitiative Nachhaltigkeit
- WING-Business