- Kämpferin für Frauenrechte

Sie war etliche Jahre Frauenbeauftragte der Stadt Graz. Nach ihrer Ausbildung zur diplomierten psychiatrischen Krankenschwester arbeitete sie als Beraterin und Netzwerktechnikerin bei nowa, seit mehr als vier Jahren ist sie Frauenbeauftragte der Stadt Graz. Neben der individuellen und strukturellen Arbeit für Frauen sind das Gender Mainstreaming und das Diversity Management ihre Schwerpunkte. Dieses Interview wurde mit ihr in ihrer Funktion als Frauenbeauftragte geführt

Brigitte Hinteregger ist eine dynamische, kämpferische Frau. Die Frauenbeauftragte der Stadt Graz stammt eigentlich aus Salzburg, wo sie eine Ausbildung zur diplomierten psychiatrischen Krankenschwester absolvierte, bevor sie zum Studium nach Graz kam. Nach Ausbildungen zur Beraterin und zur Netzwerktechnikerin arbeitete sie im Frauennetzwerk nowa, bevor sie sich um die Stelle der Frauenbeauftragten der Stadt Graz bewarb – diese hat sie nun seit mehr als vier Jahren inne. Die Vernetzung in Graz, vor allem aber das Studium internationale Geschlechterforschung und feministische Politik mit Schwerpunkt Mittel- und Osteuropa haben ihr geholfen, diese Stelle zu bekommen, meint Hinteregger, die sich schon lange für Gleichberechtigung engagiert: „Seit ich klein bin, stehe ich für Gerechtigkeit im gesellschaftspolitischen Bereich auf. Also nicht nur für Frauen, sondern auch für MigrantInnen, ganz einfach für Menschen, die aus welchem Grund auch immer sozial schlechter gestellt sind“.

Als Frauenbeauftragte arbeitet Hinteregger auf mehreren Ebenen: „Auf der einen Seite arbeite ich auf der strukturellen Ebene und versuche, strukturell etwas zu verändern. Dies sind Sachen, die alle Frauen betreffen. Auf der anderen Seite versuche ich individuell etwas zu verändern. Die Frauen, die zu mir kommen, sehen ihre individuelle Situation, sie wollen, dass ihre Situation erleichtert wird.“ Für Hinteregger ist diese individuelle Beratung wichtig. Sie berät die Frauen, es gibt psychosoziale und juristische Beratung und das, was herauskommt, bringt sie auf die strukturelle Ebene. Dabei merkt sie immer wieder, dass viele Frauen die Einrichtungen, die es gibt, gar nicht kennen oder Scheu haben, sie in Anspruch zu nehmen: „Entweder sie wissen nichts über diese Einrichtungen, oder sie sagen, dass die Beratung bei uns nicht stigmatisierend ist. Ich führe ein Erstberatungsgespräch mit den Frauen und kann sie dann entsprechend weiter vermitteln. Sehr oft braucht es ein paar Gespräche, aber der Weg in andere Einrichtungen ist für die Frauen leichter, wenn ich ihnen sagen kann, dass sie dort unterstützt werden. Ich glaube, dass eine Frauenbeauftragte immer mit der Basis arbeiten muss, um tatsächlich die vielfältigen Probleme der Frauen zu kennen. Zu mir kommen die verschiedensten Frauen, von MigrantInnen, die wegen Nostrifizierung, Rechtsberatung oder Fragen zum Aufenthaltsrecht kommen bis hin zu Frauen, bei denen es um Bewerbungen oder um Berufsumorientierung geht. Aber auch Frauen ab sechzig, siebzig Jahren kommen, weil sie vereinsamen und wissen wollen, welche Netzwerke es gibt. Bei den meisten Frauen sind die finanziellen Mittel äußerst knapp - das haben so ziemlich alle gemeinsam!“

Vor diesem Hintergrund betont Hinteregger, wie wichtig die kostenlose Beratung ist. Die Palette ist groß: zwei Kolleginnen bieten Rechtsberatung mit dem Schwerpunkt Familienrecht (Unterhalt für die Frauen und für die Kinder), Scheidungsrecht (ist es eine einvernehmliche Scheidung, eine Scheidung mit Rechtsanwältin und Rechtsanwalt, was sind die Vor- und Nachteile) oder auch die Frage der Obsorge, die Frauen vor allem in der Zeit bis zur Scheidung sehr oft belastet. „Dies ist eine Situation, in der die Frauen oft „wahnsinnig“ gemacht werden. In diesem Moment passiert es oft, dass ihnen die Kinder weggenommen werden. Die Situation ist für viele Frauen so schwierig, weil sie das Gefühl haben, es gibt so wenig Institutionen, an die sie sich wenden können. Wir haben beispielsweise keine Institution, die Frauen zu Behörden, zu Gerichten begleitet – auch wir können das nicht.“

Viele Einrichtungen und Gesetze seien den Frauen oft nicht bekannt, meint Hinteregger: „Viele wissen nicht, wo und unter welchen Voraussetzungen sie eine finanzielle Unterstützung bekommen. Es werden en masse Broschüren produziert, aber diese werden anscheinend nicht an die Frau gebracht. Das, was produziert wird, erreicht die Zielgruppe nicht, oder es ist so geschrieben, dass es die Zielgruppe nicht liest.“ Es wäre notwendig, dass Broschüren für Frauen ansprechend aufbereitet werden und dass auch Frauen mit Lernschwierigkeiten diese Broschüren lesen können. Dramatisch ist es, wenn Frauen Leistungen nicht in Anspruch nehmen, weil sie unzureichend oder falsch informiert sind: „Frauen erzählen, dass sie nicht zum Sozialamt gehen, weil sie oder ihre Kinder die Sozialleistungen zurückzahlen müssen. Es gibt zwar einen Regressanspruch, aber ich muss ihnen erklären, wie viel sie verdienen müssen, bis sie in die Situation kommen, das einmal zurückzahlen zu müssen. Ich sage den Frauen dann immer, wenn Sie einmal in die glückliche Situation kommen, das zurückzahlen zu können, dann tun Sie das eh gern. Aber leider muss ich Ihnen au ch sagen, dass Sie fast nie in diese Situation kommen werden.“

Besonders dramatisch erlebt Hinteregger diese Situation bei Migrantinnen. Kurz zuvor war eine Migrantin bei ihr, die ihr auf die Frage des Einkommens einen winzigen Betrag genannt habe: „Ich fragte sie, ob sie denn nicht wisse, dass sie Anspruch auf Sozialhilfe habe? Die Frau wusste von ihrem Anspruch. Sie meinte aber, dass sie die Staatsbürgerschaft nicht verliehen bekäme, wenn sie ständig unter der Armutsgrenze lebe. Ich glaube, hier muss mehr Sicherheit ausgestrahlt werden. Unterhaltsvorschussleistungen müssen schneller bearbeitet werden. Es muss eine klare Information seitens der Ämter geben, was in welcher Höhe geleistet wird. Ein Problem ist, dass viele unserer Klientinnen gar keinen Internetanschluss haben und mit der Recherche überfordert sind.“ Eindeutig käme heraus, dass es zu wenig Beratungsstellen gäbe, die länger offen haben. Sie selbst berät zum Teil am Wochenende oder am Abend – man erreicht aber um diese Zeit niemanden mehr in den Ämtern oder beim AMS.

Die strukturelle Arbeit ist davon geprägt, dass sie als Frauenbeauftragte der zuständigen Stadträtin Kaltenbeck-Michl oder dem Bürgermeister Vorschläge unterbreitet, sie sich Publikationen oder Homepages der Stadt anschaut und überprüft, wie weit sie Frauen und nicht nur Männer ansprechen. Hinteregger dazu: „Gender Mainstreaming ist ein Analysewerkzeug, mit dem man beispielsweise überprüft, ob sich Frauen, die eine Homepage anschauen, genauso angesprochen fühlen wie Männer. Es wird noch immer DER Mechaniker bevorzugt, DER Elektrotechniker und DER Schlosser. Das steht in vielen Anzeigen dezidiert ohne die weibliche Form drinnen und spricht Frauen nicht wirklich an, sich dort zu bewerben. Auch wenn z. B. ein Formular geschlechtergerecht ist, die Website und die gesamte Präsenz sind oft männlich dominiert. Ich weise dann darauf hin, dass man das entsprechend ändern sollte, damit auch Frauen davon angesprochen werden.“

Obwohl es die Funktion der Frauenbeauftragten seit einundzwanzig Jahren gibt, empfindet Hinteregger, dass sie für die Stadt Graz nicht wirklich sichtbar sind: „Diese Stelle hier wird mit siebzehn Stunden bezahlt. Aufgrund der vielen individuellen Geschichten und der Öffentlichkeitsarbeit, um die Stelle bekannt zu machen, komme ich - obwohl ich auf eine strukturelle Ebene kommen will - in dieser Zeit nicht dazu. Wir dürfen sehr wohl die individuelle Beratung machen, es wird aber übersehen, dass eine Frauenbeauftragte auch auf der strukturellen Ebene arbeiten muss, das ist zur Zeit aber im unbezahlten Bereich.“

Eine Abgrenzung ihrer Tätigkeiten gibt es zum Frauenreferat. Während Hinteregger zwar parteiunabhängig aber parteilich für Frauen und die Themen Geschlechtergerechtigkeit und gesellschaftliche Gerechtigkeit ist, gibt es das Frauenreferat als eine Abteilung im Ressort „Frau, Familie, Soziales, Jugend“. Die Aufgabe der Frauenreferentin ist es, bei Projekten innerhalb der Stadt Graz mitzuwirken und das Gender Mainstreaming in der Stadt Graz zu implementieren. Ihr Auftrag ist es, als Anwältin für Frauen und Frauenanliegen zu agieren, diese von außen einzubringen und eine Anlaufstelle für Frauen von außen zu sein.

Aber nicht nur Gender Mainstreaming ist ein Thema für Brigitte Hinteregger, sondern auch Diversity-Management, das die Vielfalt der Menschen in allen Dimensionen berücksichtigt: „Beim Gender Mainstreaming sieht man nur die Geschlechter, sieht Frauen und Männer. Das entspricht aber nicht der konkreten Situation. Wir sollten uns anschauen, spreche ich Migrantinnen und Migranten gleichermaßen an, spreche ich über 45-Jährige oder über 60-Jährige gleich an? Wir haben in unserem Büro einen hohen Diversity-Ansatz, weil wir meinen, dass es mehr als nur die Unterscheidung nach dem Geschlecht gibt. Ich muss vom Alter unterscheiden, ich muss von der Herkunft unterscheiden, ich muss von der Religion unterscheiden, ich muss vom sozialen Status, von einer Behinderung her unterscheiden. Das sind Dinge, die mir beim Gender Mainstreaming fehlen.“ Eine weitere Unzulänglichkeit sieht sie darin, dass oft viel Geld in die Analyse gesteckt wird und das Geld für die Umsetzung der Maßnahmen fehlt. „Es kommen Frauenförder-Maßnahmen heraus oder auch Männerförder-Maßnahmen, dass zum Beispiel Männer in Kindergärten tätig sind oder die Möglichkeiten bekommen, Betreuungspflichten zu übernehmen, ohne das Beiwort „Softy“ zu erhalten. Das ist eine gesellschaftliche Geschichte, da reicht nicht nur eine Maßnahme, da muss etwas im Überbau verändert werden. Das bedeutet, da müssen einfach ganz viele darüber reden, damit eine Selbstverständlichkeit entsteht.“

Der Begriff Nachhaltigkeit ist für Brigitte Hinteregger noch zu sehr männlich geprägt: „Nachhaltigkeit verbinde ich sehr stark mit Wirtschaft. Für mich gehört aber auch die ökologische Ebene dazu, das heißt zum Beispiel Grünflächen, das ist aber auch die Frage, wie ich eine Stadt zugänglich machen muss, damit öffentliche Räume entstehen. Nachhaltigkeit ist für mich auch, einen öffentlichen Raum mit Kinderwagen oder mit Rollstuhl zu besuchen, in die Straßenbahn oder in einen Bus auch ohne Barriere hinein zu kommen. So weit sind wir noch nicht. Da ist für mich nicht nur das Thema Frau wichtig, weil es gibt vielleicht auch irgendwann einmal ganz viele Männer mit Kinderwagen. Mir wäre wichtig, wenn es in die Nachhaltigkeitsdebatte hineinkäme, dass wir einen barrierefreien Raum schaffen müssen für beide Geschlechter, aber auch für alle Verschiedenheiten, die es im menschlichen Leben gibt.

Ich glaube auch, dass man Frauen stärker in die Diskussion einbinden muss. Es muss ein relativ niederschwelliger Bezug gefunden werden, damit sich Frauen motiviert fühlen und mitgestalten können. Ich habe von einem Projekt in der Schweiz gehört, bei dem unter dem Motto „Frauen und Männer gestalten ihre Stadt“ auch die Anliegen von Frauen eingebracht wurden. Von vielen Frauen wurde aber bemängelt, dass ihre Anliegen dann nicht gehört wurden. Minderheiten haben oftmals keinen Platz. Zu oft geht es darum, dass man eine Mehrheit schaffen und demokratisch abstimmen muss. Und dann gewinnt die Mehrheit und das Thema, zu dem sich die Mehrheit bereit erklärt hat, zu arbeiten, wird dann behandelt.

Wenn ich in der Nachhaltigkeitsdebatte die Wirtschaft hernehme, dann darf es einfach nicht passieren, dass es nach wie vor Firmen gibt, bei denen Frauen grundsätzlich in prekären Arbeitsverhältnissen sind, während dies bei Männern nicht passiert, weil man von dem Alleinernährermodell ausgeht, bei dem der Mann die Familie ernährt und die Frau die Zuverdienerin ist. Tatsächlich gibt es aber so viele Alleinerzieherinnen - diese Zahlen kennen wir ja.“

Auf die Frage nach einer persönlichen Definition von Nachhaltigkeit antwortet Hinteregger: „Ich hätte gerne, dass meine Nichte und mein Neffe, die jetzt beide sechs sind, in einer Welt groß werden, wo das selbstverständlich ist, dass sie nicht darum streiten müssen, sondern dass es völlig klar ist, dass Rechte für Männer und Frauen gleich sind. Und, dass sie nicht mehr darum kämpfen müssen, dass sie in einer Welt der Selbstverständlichkeit aufwachsen. Jetzt fragen sie mich noch: „Du, haben die Buben mehr Rechte als die Mädchen?“ Ich wünsche mir, dass ich in fünfzig Jahren - also ich werde es dann ohnehin nicht mehr machen, dass ich in fünfzig, in siebzig Jahren vielleicht nicht mehr irgendwo unterrichten und in irgendwelchen Schulen sagen muss: „Liebe Mädchen, es gibt eine Berufspalette, die ist größer als Friseurin, Verkäuferin oder sonst irgend etwas …“ weil sie mit einem Selbstverständnis aufwachsen, weil das auch schon so in den Schulbüchern drinnen ist. Das wäre ein Nahziel für mich, dass sich da in zehn Jahren etwas verändert. Natürlich weiß ich aufgrund der Statistik, dass sich in fünfzig Jahren keine Gleichberechtigung eingestellt hat. Dass wir noch nicht fünfzig oder zweiundfünfzig Prozent an Frauen in der Führungsebene haben werden. Irgendwann wünsche ich mir, dass der Zugang nicht mehr diskutiert werden muss und dass niemand mehr von irgendwelchen Quotenmenschen sprechen muss, weil es eine Selbstverständlichkeit ist, dass ich mich unabhängig von meinem Geschlecht, von meiner Herkunft oder meinem Alter in dieser Gesellschaft in den Bereichen einbringen kann, wo ich meine Kompetenzen sehe“.

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