- die große QUART-Umfragen nach dem status ecclesiae / Beitrag in  Quart - Zeitschrift des Forums Kunst-Wissenschaft-Medien Nr. 3/2003

Viele Christen empfinden die Kirche in der Defensive und erwarten teifgreifende Reformen. Die Weiterentwicklung der ökumenischen Annäherung hat dazu geführt, dass inzwischen alle Kirchen von ähnlichen Fragen betroffen sind. Die Impulse des Konzils galten der christlichen Kirche als Ganzer, dürfen aber unter den seither stark veränderten Bedingungen nicht zum nostalgischen Rückblick verleiten.

Deshalb stellte QUART jene Fragen, die die Zeitschrift "Wort und Wahrheit" 1961 vor dem Konzil gestellt hat, neu im Blick auf die Zukunft. Vier Jahrzehnte nach dem Konzil ist es nötiger denn je, wieder nach dem status ecclesiae zu fragen.

Diese Fragen wurden 100 Personen gestellt, einzig und allein die Vermutung, diese Personen könnten am Schicksal der Kirche Anteil nehmen, war ausschlaggebend für die Auswahl.

 

A. Was sind Ihrer Meinung nach die vordringlichsten Fragen, die sich aus der Situation der Kirche in der Welt von heute stellen?

Die Beantwortung der beiden Fragen erfolgt vor dem Hintergrund oftmaliger Aufenthalte in Lateinamerika und Osteuropa und der Erfahrung, die ich als "hauptamtlicher Laie" über fünf Jahre in der Kirche machen konnte.

Aus meiner Sicht sind es zwei Fragen, die für die Zukunft der Kirche von großer Bedeutung sind: der Konflikt zwischen der römischen Zentralkirche und den Ortskirchen und die Relevanz der Kirche für das tägliche Leben der Menschen.

Was meine ich damit? Die Weltkirche ist auf den fünf Kontinenten durch einen unheimlich großen Reichtum der Ortskirchen präsent, der bereits einen Wert an sich darstellt. Dieser Reichtum lehrt uns, dass es viele verschiedene Zugänge zum Glauben gibt, dass es unterschiedliche Probleme gibt und auch verschiedene Lösungsansätze, um mit diesen Problemen umzugehen. Der Versuch, von Rom aus einen "globalen Standard" durchzusetzen, ist aus meiner Sicht eine unheimliche Verkürzung und Einengung, bei der viel an Reichtum, Vielfalt und Entwicklungsfähigkeit verloren geht. Diese zentralistischen Bestrebungen schränken die Bemühungen um die Inkulturation der Kirche massiv ein.

Für die Zukunft der Ortskirche ist aus meiner Sicht die Relevanz der Kirche für das tägliche Leben die größte Herausforderung. Die Mehrzahl der Menschen in unserem Land erlebt Kirche nicht mehr als das, was sie eigentlich sein sollte, nämlich als Gemein-schaft (der Gläubigen). Die sonntägliche Versammlung in der (Pfarr-) Gemeinde ist nur mehr für einen kleinen Kreis von Wichtigkeit - die Mehrheit kommt auch ohne dieses "Ritual" aus. Der Glaube wird nicht mehr als für das Leben wichtig erlebt - besser lebt man ohne "moralische Erinnerungen". Wagt man doch den Besuch des Gottesdienstes, wird er durch die fehlende Begeisterung in den seltensten Fällen als Erbauung, Ermun-terung oder als Stärkung für die Woche erlebt, sondern viel öfter als Ernüchterung und als Pflichtprogramm. Das Ab- und Ausgrenzen (Geschiedene, Homosexuelle etc.) trägt zusätzlich zur Entheimatung bei und hat wenig mit dem z u tun, was Jesus darunter verstanden hat, als er zu den Menschen (und Sündern) ging. Die Beschäftigung mit Randproblemen verdeckt, dass die Kirche kaum mehr gehört wird, wenn es um die zentralen Fragen der Menschen geht.

 

B. Welche konkreten Maßnahmen würden Sie zur Lösung dieser Fragen besonders befürworten?

Vor diesem Hintergrund sehe ich folgende Möglichkeiten: Bewusstes Akzeptieren und Fördern der Vielfalt. Wir können daraus lernen und für unser (Glaubens-) Leben wichtige Impulse bekommen. Ein Staunen über die Art, wie andere Völker Gottesdienst feiern und wie sie ihren Glauben ernst nehmen, kann uns im "Norden" bzw. in der "ersten Welt" viele Impulse für eine gelebte Kirche geben.

In der Kirche vor Ort ist eine kompromißlose Hinwendung auf die Menschen mit ihren Sorgen und Nöten notwendig. Es müssen "Andockmöglichkeiten" vor allem für diejenigen geschaffen werden, die der Kirche ferner stehen. Eine Liturgiereform auf die heutigen Gegebenheiten ist aus meiner Sicht neben der wiederholten Einladung und dem Zugehen auf die Menschen die Voraussetzung dafür, dass wieder mehr Menschen eine Heimat in der Kirche finden und den Weg eines gelebten und verinnerlichten Glaubens gehen.