- Organisatorin dieses Projektes Vinzibus

Seit 1991 gibt es in Graz den Vinzibus, eine Einrichtung für Menschen in schwierigen Situationen. Der Bus fährt täglich drei Stationen an und versorgt Menschen in Not mit Tee und Broten. Mag. Gabriele Grössbauer ist die ehrenamtliche Organisatorin dieses Projektes, das für viele Menschen eine Tankstelle der Wärme ist.....

Active ImageSeit Dezember 1991 fährt täglich ein Kleinbus durch Graz, um Menschen in Not mit Tee und Broten zu versorgen, wohl aber auch, um ihnen ein Stück Selbstwertgefühl zurückzugeben, das ihnen ihr persönliches Schicksal genommen hat. Im fünfzehnten Jahr seines Bestehens ist der Vinzibus eine Institution menschlicher Wärme, unverzichtbarer denn je. Er ist zu einem strengen Spiegel vieler Probleme unserer Gesellschaft geworden und hat seine Helfer doch nicht verzweifeln lassen, trägt ihre Arbeit doch immer wieder Früchte: Zu sehen, wie ein Mensch wieder auf die Beine kommt, ist für Mag. Gabriele Grössbauer der größte Lohn und die Bestätigung dafür, dass man der Armut gemeinsam entgegentreten muss. Im Gespräch mit Miha Tavcar erzählt die ehrenamtliche Organisatorin des Projektes, wie der Vinzibus die Not vieler Menschen lindert.

Tavcar: Frau Grössbauer, was ist der Vinzibus und wie funktioniert er?

Grössbauer: Der Vinzibus ist eine Einrichtung für Menschen in schwierigen Situationen. Der Bus fährt in Graz täglich drei Stationen an – den Augarten, den Jakominiplatz und den Bahnhof – und versorgt Menschen in Not mit Tee und Broten. Wir sind 1991 auf die Armut in Graz aufmerksam geworden und haben die Notwendigkeit einer solchen Einrichtung erkannt. Aus dem Vinzibus haben sich in der Folge viele weitere Projekte entwickelt: Wir decken mit dem Vinzitel den Bereich des Schlafens ab, für Ausländer ist das Vinzinest da, für Inländer das Vinzidorf, jetzt kommt für obdachlose Frauen und Frauen mit Kindern in Not das Vinzihaus dazu. Im Vinzimarkt werden Nahrungsmittel weitergegeben. Auch der Vinzishop ist aus dem Projekt Vinzibus entstanden, damit die Menge an Kleidung, die wir von Menschen gespendet bekommen, den Bedürftigen zugute kommt. Wir wollen also der Not dort begegnen, wo sie ist.

Tavcar: Der Vinzibus ist eine ehrenamtliche Einrichtung. Wie viele Personen engagieren sich beim Vinzibus und was motiviert sie dazu?

Grössbauer: Von 1991 bis jetzt waren es bestimmt an die 200 bis 300 ehrenamtliche Helfer. Zur Zeit schätze ich ihre Zahl auf fünfzig. Sie fahren entweder wöchentlich oder 14-tägig mit, manche auch nur monatlich. Täglich fahren zwei Mitarbeiter mit dem Vinzibus aus.


Active ImageTavcar: Wo bekommen Sie außer der ehrenamtlichen Mitarbeit von vielen noch Unterstützung her?

Grössbauer: Die Verpflegung wird von den Grazer Pfarren und Klöstern gespendet, die Benzinkosten übernehmen die Stadt Graz beziehungsweise Shell. Auch die Bäckereien unterstützen uns. Oft rufen Schulen an und wollen im Rahmen von sozialen Projekten mitmachen. Ansonsten bekommen wir Anrufe aus der ganzen Stadt – zum Beispiel, wenn irgendwo ein Buffet übrig bleibt.

Tavcar: Was konkret bietet diese Tankstelle der Wärme – wie der Bus auch genannt wird – den Bedürftigen?

Grössbauer: Der Vinzibus stillt einerseits den Hunger, gibt den Menschen aber auch das Gefühl, dass sie angenommen werden. Es kommt täglich jemand, der ihre Nöte und Sorgen ernst nimmt und sich um sie kümmert, wenn sie selbst nicht weiter wissen. Wir sind für alle da – für Haftentlassene oder Bettler genauso wie für einsame Menschen, die Kontakt suchen. Wir fragen niemanden nach seiner Identität oder seinem Vorleben. Niemand wird ausgegrenzt. Wir helfen dort, wo Not ist, aber natürlich waren es zuerst die Obdachlosen, die uns aufgefallen sind, weil sie auf der Straße waren.

Active ImageTavcar: Welche Menschen suchen vor allem Hilfe und wie ist das Verhältnis zwischen Frauen und Männern?

Grössbauer: Ich würde sagen, dass ein Viertel der Gäste Frauen sind, wobei der Anteil größer wird. Darunter sind auffallend viele junge Menschen. Viele sind infolge ihrer Arbeitslosigkeit, eines Wohnungsverlustes oder einer Scheidung gestrauchelt. Mit der Notstandshilfe von 500 Euro ist das Überleben nicht gesichert; sie können die Wohnung bezahlen, aber zu essen bleibt nicht genug übrig.

Tavcar: Resigniert man nicht irgendwann, wenn man sieht, dass bereits junge Menschen in solch schwierige Situationen stecken?

Grössbauer: Man muss immer Hoffnung schöpfen, auch wenn es im Moment für die Zukunft schlecht ausschaut. Ich habe vor Jahren einen Jugendlichen kennen gelernt, dessen Vater Rechtsanwalt war. Seine einzigen Freunde waren die Sandler im Stadtpark und er war auch mit Drogen in Kontakt gekommen, aber früher oder später konnte er doch wieder Fuß fassen. Man darf nicht pessimistisch sein, auch wenn eine Orientierungslosigkeit da ist und die Jugendlichen keine Aufgaben und Perspektiven für sich sehen, sich niemand um sie kümmert und das Elternhaus oft überfordert ist. Man muss sagen, dass von der Stadt Graz sehr viel getan wird, um die Jugendlichen aufzufangen, und es macht Hoffnung, wenn es ihnen gelingt, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren.

Tavcar: Die Straße ist also gewissermaßen ein Spiegel breitschichtiger gesellschaftlicher Probleme?

Grössbauer: Das stimmt natürlich. Man sieht zum Beispiel ganz krass das Ausmaß der Arbeitslosigkeit, dass Leute mit schlechter Ausbildung oder mit Behinderungen am Arbeitsmarkt überhaupt nicht mehr zu integrieren sind und mit 400 bis 500 Euro gezwungen sind, ihr Dasein zu fristen – ein Ding der Unmöglichkeit.

Tavcar: Ist die Zahl Ihrer Gäste über die Jahre konstant geblieben?

Grössbauer: Die Zahl der Hilfesuchenden schwankt sehr stark. Während der Jugoslawienkrise waren zum Beispiel sehr viele Ausländer da; im Moment hält sich die Zahl der Aus- und Inländer in etwa die Waage. Täglich profitieren durchschnittlich achtzig Menschen vom Vinzibus.

Tavcar: Gibt es Bedürftige, die zu Stolz sind, die Hilfe des Vinzibus anzunehmen?

Grössbauer: Die gibt es bestimmt. Der Vorteil beim Vinzibus ist, dass sich niemand deklarieren muss, sondern anonym bleiben kann. Oft fangen die Menschen von selbst an, von sich zu erzählen. Wir führen nicht B uch und keine Statistik; wer kommt, der kommt.

Tavcar: Aber der Bus ist auch ein Forum, wo sich die Menschen untereinander austauschen und sich mitteilen können.

Grössbauer: Auf jeden Fall. Die Leute leiden darunter, dass sie überhaupt keine Beziehungen haben, und suchen die Gemeinschaft. Hier entstehen Beziehungen untereinander und zu den Busfahrern, die regelmäßig kommen. Für viele ist das der einzige Kontakt – zum Beispiel für ältere Menschen, die sonst überhaupt keinen Kontakt zur Außenwelt haben und vereinsamen.

Tavcar: Hat es im Laufe der Jahre in der Bevölkerung auch offen artikulierte Ablehnung gegenüber dem Projekt „Vinzibus“ gegeben?

Grössbauer: Natürlich, dort wo wir stehen, sind wir nie gern gesehen. Wenn etwas verunreinigt ist, gibt es Anzeigen. Es gibt mitunter Anfeindungen und man will uns von überall weghaben. Zwar finden alle, es sei eine gute Sache, aber niemand will die Not sehen. Dabei müssen wir zentrale Punkte anfahren, wo die Leute auch hinkommen. Wir werden also nicht angefeindet weil wir es machen, sondern weil man uns nicht sehen will.

Tavcar: Der Vinzibus ist seit dem 1. Dezember 1991 unterwegs. Sind Sie und die Ihren gescheitert, weil es die Not auf der Straße noch gibt, oder betrachten Sie es als Erfolg, dass diese soziale Einrichtung praktisch zu einer Institution geworden ist?

Grössbauer: Ich betrachte es als Erfolg, weil wir vielen Menschen zu einem normalen Leben verholfen haben. Viele haben wieder in die Gesellschaft zurückgefunden und brauchen den Vinzibus nicht mehr. Ein Erfolg ist das Projekt auch insofern, als sich Arme ja nicht überall hin wenden, weil sie vielleicht zu stolz oder zu schüchtern sind. Bei uns öffnen sie sich und sprechen über ihre Not.

Tavcar: Ich vermute, dass das Problem nicht endgültig lösbar ist.

Grössbauer: Nein, das wird es auch in Zukunft nicht sein, wenn wir nicht ein Grundeinkommen für alle schaffen. Man sieht ja, dass wegen der Arbeitslosigkeit keine Lösung in Sicht ist. Und deswegen kann ich das nicht als Scheitern sehen, solange die Gesellschaft und die Politik nichts dazu beitragen, dass die Situation besser wird.

Tavcar: Frau Grössbauer, unser Gespräch findet im Rahmen einer Informationskampagne zum Thema Nachhaltigkeit statt. Was, glauben Sie, macht den Vinzibus zu einem nachhaltigen Projekt?

Nachhaltig sind die Beziehungen und Freundschaften, die entstehen, und natürlich auch die Erfolge, die aus unserer Arbeit resultieren und bleibend sind. Das Leben all unserer Gäste hat sich verändert, wenn auch nur darin, dass sie wieder Mut geschöpft haben und gesehen haben, dass sich jemand ernsthaft um sie kümmert, dass also Veränderung möglich ist, wenn auch nur in kleinen Schritten.

Tavcar: In der Definition der Nachhaltigkeit wird auch die Gerechtigkeit als wichtiger Bereich angesprochen. Wie definieren Sie für sich Gerechtigkeit und Solidarität?

Grössbauer: Solidarität ist für mich, wenn ich das Leid des anderen auch zu meinem Leid mache. Ich sehe das als meine Pflicht. Mir war eine gute Ausbildung gegönnt, ich habe einen Job, der mir Spaß macht, und ich weiß, dass viele diese Chance nicht gehabt haben – nicht weil sie nicht wollten, sondern weil es ihnen einfach nicht gegeben war.

Tavcar: Eine nachhaltige Gesellschaft wird auch als zukunftsfähige Gesellschaft bezeichnet. Welche Vorstellungen haben Sie persönlich von einer zukunftsfähigen Gesellschaft?

Grössbauer: Ohne Grundeinkommen kann ich mir die Zukunft nicht vorstellen. Ich spreche nicht von Reichtum, sondern davon, dass jeder ein Dach über dem Kopf und genug zu essen hat.

Tavcar: Und wie wir wissen, wäre das rechnerisch auch möglich.

Grössbauer: So ist es. Ich trete auch für eine Grundpension ein, denn ich sehe nicht ein, warum manche viel bekommen sollen und andere so wenig, dass sie nicht einmal davon leben können.

Tavcar: Was bedeutet für Sie persönlich Nachhaltigkeit?

Grössbauer: Für mich persönlich ist Nachhaltigkeit, wenn ich Menschen ein Stück des Weges begleiten kann und spüre, dass meine Hilfe angenommen wird und das Leben des Einzelnen ein wenig zum Guten verändert.

 

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